Die Nacht ist wunderbar gewöhnlich – gutes Essen und Getränke, ein paar Filme, der Genuss intensiver Nähe. Um null Uhr flüstere ich einen guten Wunsch in ein Ohr, das war’s. Ich mag die Abwesenheit von Sensation und Suff in der Silvesternacht, das Aussperren jener aufgeladenen Stimmung, stets ein anstrengendes Gemenge aus Euphorie, Traurigkeit, Zuversicht, Angst und Übersprungshandlungen.
Auf dem Nachhauseweg am nächsten Tag betrachte ich neugierig die Überbleibsel der Feierei: leere Sektflaschen, Reste von Feuerwerkskörpern, abgebrannte Riesenwunderkerzen, die wie verkohlte Gerippe aus Mülleimern ragen.
Vor etwa 10 Jahren hatte es irgendwann in der Silvesternacht geschneit und morgens war der ganze Partydreck unter einer weißen Decke versteckt gewesen. In den darauffolgenden Wochen fiel immer wieder Schnee, es taute nur kurz, gefror erneut und so weiter. Jeden Tag waren die Menschen über winterliche Gehwege gestapft oder gerutscht und ich war manchmal davon überzeugt, es würde für immer so bleiben. Erst Anfang April hatte die Sonne endlich die Fetzen der Feuerwerkskörper wieder freigelegt, die niemand mehr sehen wollte, schließlich waren alle schon viel weiter und der Neujahrsoptimismus wirkte aus der Distanz betrachtet vor allem zynisch.
Dieses Jahr passiere ich Kirschbäume, an denen ein paar rosa Blüten hängen, als sei der Frühling schon da. Ich bin mir sicher, dass dies kein einmaliges Ereignis bleiben wird, schließe schnell die Augen und genieße das Oxytocin, das durch meinen Körper rauscht.